Glutenfrei essen ist für Menschen mit Zöliakie eine lebenslange Challenge. Wobei Challenge das falsche Wort ist. Denn Zöliakie ist eine Krankheit und Betroffene wie die 26-jährige Maita Beglau haben ja keine andere Wahl. Maita weiß seit sie zwölf ist, dass sie Zöliakie hat. Seitdem dreht sich bei ihr vieles ums Essen. Sie hat mir erzählt, warum der Hype um eine glutenfreie Ernährung ihr nur teilweise hilft und wie sie ihren Alltag meistert.
Maita studiert Oecotrophologie in Münster und ich habe sie bei einem Treffen meines Berufsverbands VDOE kennengelernt. Wir saßen nebeneinander im Restaurant und Maita war sehr angespannt. Als Erstes musste sie mit den Leuten dort klären, ob sie die telefonischen Verabredungen eingehalten hatten. Denn seit man vor 14 Jahren Zöliakie bei ihr festgestellt hat, weiß sie, dass selbst Spuren von Gluten bei ihr Bauchschmerzen und andere Beschwerden auslösen.
Essen im Restaurant gehört zu ihren größten Herausforderungen. Das erzählte sie mir schon damals. Außerdem kämpft sie damit, dass viele Menschen zwar den Begriff glutenfrei kennen, aber nicht wissen, was eine Zöliakie ist. Und daher verstehen sie auch nicht, was es für die Betroffenen bedeutet.
Zöliakie ist keine selbstgewählte Challenge
Maita möchte gerne dazu beitragen, dass sich das ändert. Sie wünscht sich, dass Menschen wie sie auf mehr echtes Verständnis und entsprechendes Verhalten stoßen. Daher hat sie mir bei einem Treffen Anfang Juni die Zusammenhänge und Probleme aus ihrer Sicht erklärt.
Der Hype um eine glutenfreie Ernährung macht ihr das Leben eher schwerer. Immer mehr Menschen verzichten freiwillig auf Gluten, um abzunehmen oder sich „besser zu fühlen“. Doch Zöliakie ist eine chronische Erkrankung des Stoffwechsels. Sie hat nichts mit einer echten oder eingebildeten Unverträglichkeit oder Allergie gegenüber Gluten oder Weizen zu tun. Zöliakie ist eben keine selbstgewählte Challenge oder Ernährungsform. Sie ähnelt auch nicht einer Laktoseintoleranz (= Milchzuckerunverträglichkeit), bei der Laktase-Tabletten das fehlende Enzym zumindest teilweise ersetzen können.
Zöliakie in aller Kürze
Bei einer diagnostizierten Zöliakie können schon Spuren von Gluten starke Beschwerden auslösen: zum Beispiel Durchfall, Erbrechen oder einen schmerzenden Blähbauch. Dann bleibt manchmal nur die spontane Flucht aus dem Restaurant oder von der Feier. Und leider ist oft am nächsten Tag nicht wieder alles gut. Das schränkt die Lebensqualität der Betroffenen sehr stark ein.
Neben diesen klassischen Symptomen gibt es noch viele weitere. Die Medizin bezeichnet die Autoimmunerkrankung daher auch als Chamäleon. Unabhängig von der Stärke oder Art der Beschwerden, bildet der Darm nach dem Verzehr von Gluten Antikörper. Der Körper stuft das eigentlich ungefährliche Eiweiß fälschlicherweise als gefährlich ein. Dadurch entzündet sich der Darm und nimmt Nährstoffe schlechter auf.
Versteckte Risiken für Gluten in meiner Küche
Bevor ich Maita traf, hatte ich mich nur theoretisch mit Zöliakie und einer glutenfreien Ernährung beschäftigt. Deshalb wollte ich sie gerne bekochen und ein glutenfreies Backrezept ausprobieren. Das fand sie zwar nett, wollte aber vorher mit mir sprechen. Denn der Einkauf glutenfreier Zutaten oder fertiger Lebensmittel reiche längst nicht aus. Viel schwieriger sei es, Kontamination mit Gluten zu vermeiden.
Wir habe also erstmal telefoniert. Sonst hätte ich womöglich meinen Handmixer für einen Brötchenteig aus Maismehl genommen. In dessen Ritzen stecken aber Reste von Weizen-, Dinkel- oder Roggenmehl. Das wäre mir beim Blick auf die Website der Deutschen Zöliakie Gesellschaft e. V. schnell aufgefallen. Dort steht unter Tipps für den Alltag genau, worauf man zum Beispiel in der Küche unbedingt achten muss. Aber soweit war ich noch nicht und hatte die vielen Details nicht auf dem Schirm.
Wir haben uns dann für die sichere Variante entschieden: Fertige glutenfreie Brötchen zum Aufbacken. Ich musste also „nur“ meine Küche und den Backofen gründlich reinigen. Dazu wollten wir einen Salat mit grünem Spargel, Erdbeeren, Ruccola und Parmesan machen. Den Salat haben wir zusammen geputzt und zubereitet. Auf einem Schneidebrett aus Glas und mit einem Dressing aus garantiert glutenfreien Zutaten.
Trotzdem hat Maita genau aufgepasst: Mein Balsamessig war glutenfrei. Aber als ich einen Löffel Senf zur Vinaigrette geben wollte, fragte Maita, was ich mit dem schon offenen Glas sonst so mache. Naja, den Senf streiche ich gerne statt Butter oder Margarine aufs Brot. Wer findet den Fehler? Es gab also ein Dressing ohne Senf.
Peinliche Momente: Wenn gut gemeint noch lange nicht glutenfrei ist
Für mich war das erhellend, für Maita eine ganz typische und oft schwierige Situation:
„Ich muss immer ganz viel mit den Leuten reden und nachfragen. Und wenn die sich dann extra Mühe gegeben, aber nicht alles richtig gemacht haben, kann ich es trotzdem nicht essen.“
Zum Beispiel, wenn im Essig glutenhaltiges Gerstenmalzextrakt steckt oder beim Maismehl nicht „glutenfrei“ draufsteht. Dann kann es in derselben Mühle wie Weizen gemahlen worden sein und kommt für Menschen mit Zöliakie nicht mehr in Frage. Nur der Aufdruck „glutenfrei“ oder das anerkannte Siegel der durchgestrichenen Ähre garantiert, dass nicht mehr als 20 Milligramm Gluten pro Kilo enthalten sind.
Oft wird es auch peinlich, erzählte sie mir:
„Wir haben zum Beispiel beim Grillen alles sorgfältig zusammen vorbereitet. Und dann bricht plötzlich jemand ohne zu überlegen das Weizenbaguette zum Teilen über der Salatschüssel und schon kann ich den Salat nicht mehr essen.“
Und noch so eine Situation, die man nicht erleben möchte:
„Stell dir vor, jemand gibt auf der Arbeit einen Kuchen zu seinem Geburtstag aus. Weil er mitbekommen hat, dass ich kein Gluten vertrage, hat er extra ein Rezept gesucht, die passenden Zutaten gekauft und einen glutenfreien Kuchen gebacken. Jetzt muss ich aber nachfragen, ob er sich mit der Kontaminationsthematik auskennt und darauf geachtet hat. Wenn nicht, war seine Mühe umsonst. Dann muss ich mich dafür bedanken und sagen, dass ich den Kuchen nun leider nicht essen kann. Im schlimmsten Fall bekommen das auch noch alle mit und die Stimmung ist dahin.“
Zwei Kugeln Eis auf die Hand? Nicht ohne viele Fragen
Ein großes Ding für Maita ist also Essen außer Haus. Da fehlt ihr die Leichtigkeit, die für andere Menschen normal ist. Mal eben irgendwo ein Eis essen? Schwierig. Sich spontan im Restaurant oder Café verabreden? Anstrengend.
„Immer und überall muss ich vorher ganz viel fragen. So reicht es in der Eisdiele natürlich nicht, glutenfreie Sorten auszuwählen. Auch hier muss ich auf alle Kontaminationsrisiken achten: Wie reinigen die den Kugelportionierer, nachdem sie damit im Cookie-Eis waren? Wie ist das mit den Waffelkrümeln?“

In einer Eisdiele können zum Beispiel Waffelkrümel oder Spuren vom Cookie-Eis glutenfreie Sorten mit Gluten kontaminieren.
Aus denselben Gründen ist Maita mit glutenfreien Kuchen in Cafés vorsichtig. Die genügen vielleicht den Ansprüchen von Menschen, die freiwillig auf Gluten verzichten, aber nicht Zöliakie-Kranken. Bei denen kann schon ein Achtel Gramm Weizenmehl zu einer Entzündung des Dünndarms mit starken Beschwerden führen. Das wissen viele Menschen nicht.
„Und dann gibt es natürlich immer welche, die jemanden kennen, der auch kein Gluten verträgt, und diesen Kuchen aber jetzt essen würde. Demnach stehe ich oft als pingelig dar, weil es aus ihrer Sicht ja auch anders gehen würde.“
Damit hilft der Gluten-Hype Menschen wie Maita wenig. Im Gegenteil: Oft wird sie mit anderen verglichen, „die das auch haben und es nicht so genau nehmen“.
„Mit anderen austauschen und offen über die Zöliakie sprechen“
Maita geht am liebsten dorthin, wo andere Betroffene oder sie selber gute Erfahrungen gemacht haben.
„Darüber tauschen wir uns zum Beispiel in einer Facebook-Gruppe aus. Empfehlen uns gegenseitig Restaurants, Cafés oder Hotels.“
Ideal sind solche, die Zöliakie-Betroffene eröffnet haben. Dort fühlt sich Maita sicher und willkommen. Nicht wie der lästige Gast mit Tausend Fragen und Extra-Wünschen. Denn sie merkt leider oft: Besonders, wenn die Leute sich Mühe gegeben haben und meinen, sie hätten alles richtig gemacht, finden sie solche Fragen unangebracht und wollen sie nicht mehr beantworten.

Zufällig im Elsass entdeckt: Eine glutenfreie Bäckerei
Oft geht Maita den Weg des geringsten Widerstandes. Sie isst schon vor einem Treffen zuhause. Sie verabredet sich zum Kaffee und verzichtet auf Kuchen. Oder sie nimmt sich ihr eigenes Essen mit. Meist hat sie damit kein Problem, manchmal kommt sie aber an ihre Grenzen.
Eine Einladung zu einer Hochzeitsfeier mit tollem Buffet? Die bringt sie ins Grübeln, trotz all ihrer Erfahrungen und dem offenen Umgang mit ihrer Erkrankung. Trotzdem: Nicht hingehen, ist keine Option. Stattdessen bemüht sie sich, durch Gespräche mit den Verantwortlichen einen Weg zu finden, bei dem sie ein gutes Gefühl hat.
Was rätst du anderen Betroffenen, fragte ich Maita um Schluss:
„Die sollen sich auf jeden Fall untereinander austauschen, offen mit ihrer Krankheit umgehen und dazu stehen. Kinder lernen das schneller als Jugendliche in der Pubertät. Ich war ja schon vierzehn, als die Krankheit bei mir diagnostiziert wurde. Damals ist es mir sehr schwergefallen, darüber zu sprechen. Ich wollte nicht immer die mit der Extra-Wurst sein und war es ja doch. Mittlerweile habe ich gelernt, selbstbewusst zu sagen: Ich habe eine Erkrankung und darf das deswegen nicht essen. Oder: Alles muss ganz sauber sein.“
Trotzdem nervt es Maita, dass sich bei ihr so viel ums Essen dreht. Sie hofft auf ein Medikament für Menschen mit Zöliakie. Das würde zwar die notwendige, streng glutenfreie Ernährung nicht ersetzen. Aber es würde verhindern, dass schon Spuren eine Autoimmunantwort mit schlimmen Symptomen auslösen. Dann hätte sie beim Essen außer Haus mehr Leichtigkeit. Sie könnte sich manche Fragen zur möglichen Kontamination in der Eisdiele oder beim selbst gebackenen Kuchen sparen. Bis dahin wünscht sie sich mehr Verständnis für ihre Erkrankung und ihre Situation.
Habt ihr ähnliche oder ganz andere Erfahrungen wie Maita gemacht? Dann erzählt davon gerne in den Kommentaren.
Foto Eisdiele: Jan Vašek/pixabay
Als Zöliakiebetroffener steht man am Anfang nach der Diagnose vor einem Berg an Fragen. Das kennen wir auch. Leider ist das Wissen über ein sicheres glutenfreies Leben bei Zöliakie auch bei Ärzten und Ernährungsberatern noch nicht flächendeckend druchgedrungen. Gerade um diese Wissenslücken zu beseitigen haben wir 2011 die Facebook-Gruppe Zöliakie Austausch gegründet. Mittlerweile tauschen sich dort über 50.000 Mitglieder aus, und geben sich Tipps für ein sicheres und doch schmackhaftes glutenfreies Leben.
Wie oben im Beitrag geschrieben, ist das Auswärts Essen gehen noch eine große Herausforderung. Genau dafür ist eine Gruppe in den sozialen Medien optimal um an den Erfahrungen anderer teilhaben zu können und Fragen zu stellen wo man sicher Essen kann.
Die Teilnahme in der Gruppe ist kostenlos, denn wir finden, dass jeder Betroffene die Möglichkeit haben soll sich sicher glutenfrei zu ernähren und Informationen zu erhalten.
Vielen Dank für euren wertvollen Kommentar. Genau hier machen die viel gescholtenen Sozialen Medien mal richtig Sinn. Und wow, 50.000 Mitglieder ist stark!