Der Trendreport Ernährung 2023 vom BZfE und NUTRITION HUB ist online. Er holt mich zur rechten Zeit aus einer gewissen Krisenstimmung. Denn zwei meiner Lieblingsthemen haben es bei der Befragung von insgesamt 170 Ernährungsexpertinnen und – experten wieder nach ganz oben geschafft: „Klimafreundliche & nachhaltige Ernährung“ auf Platz 1 und „Pflanzenbetonte Ernährung“ auf Platz 2. Das stimmt zuversichtlich. Und es motiviert, mich selber weiter für diese Themen zu engagieren – beruflich wie privat!
„Klimafreundliche & nachhaltige Ernährung“ als Hebel
Stell dir vor, die Klimakrise spitzt sich zu und keinen interessiert’s. So sah es bis vor wenigen Jahren aus. Allmählich scheint sich das zu ändern. Immer mehr Menschen erkennen, welch großer Hebel die Ernährung sein kann. So sehen 48 Prozent der für den Ernährungsreport befragten Expertinnen und Experten in einer klimafreundlichen und nachhaltigen Ernährung die derzeitig wichtigste Entwicklung. Das zeigt sich in Unternehmen, die regionale(re) Lieferketten aufbauen und nachhaltige(re) Produkte entwickeln. Oder in Mensen und Kantinen, die entsprechend an ihren Speiseplänen schrauben. Das gilt aber auch für viele Menschen, die langsam die Zusammenhänge verstehen. Dann verzichten sie eben doch immer öfter auf Fleisch, kaufen regionale Lebensmittel oder nach Saison und bemühen sich, Lebensmittelverschwendung und Verpackungsmüll zu vermeiden.
Junge Leute machen Druck
Besonders junge Leute demonstrieren für den Erhalt unserer Umwelt und bemühen sich selber um eine nachhaltige Ernährung. Das beobachte ich auch bei uns zuhause, wo „Boomer“ wie mein Mann und ich schon mal freundlich in die Mangel genommen werden. Zum Beispiel beim Thema „gute Butter“ auf dem Sonntagsbrötchen oder im Streuselkuchen. Darauf folgt unweigerlich eine Diskussion über die CO2-Bilanz von Butter versus Margarine. Doch tatsächlich habe ich mich längst von den mittlerweile erwachsenen Kindern mitnehmen lassen. Nachdem ich schließlich selber als Oecotrophologen-Mama die Saat gesät habe. Im kleinen Stil retten wir also die Welt, was das Zeug hält: Essen gar kein Fleisch mehr bzw. nur noch hin und wieder. Schmieren (meist) Margarine und legen den Käse dünner aufs Brot. Kaufen jede Menge regionales Gemüse und Obst, viele Bio-Lebensmittel. Retten und verteilen Lebensmittel via foodsharing bzw. helfen dabei.
Klimakommunikation ist Pflicht
Außerdem habe ich das große Glück, dass ich mich beruflich mit dem Top-Thema des Ernährungsreports beschäftigen darf. Denn mein wichtigster Kunde ist das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE). Das widmet sich seit einigen Jahren zunehmend der Kommunikation zu einer klimafreundlichen & nachhaltigen Ernährung. Ich darf also Texte mit praktischen Tipps gegen Lebensmittelverschwendung oder über eine nachhaltige Gemeinschaftsverpflegung nach DGE-Qualitätsstandards schreiben. Oder mich mit den Tücken der Klimakommunikation beschäftigen.
Dabei habe ich gelernt, dass sich Menschen schlecht durch Horrorszenarien zu Veränderungen motivieren lassen. Dann erscheint die Klimakrise viel zu groß, um dagegen etwas tun zu können. Stattdessen müssen wir alle Register ziehen, um den Menschen zu zeigen, dass es Lösungen gibt: große und kleine, langweilige und spannende, banale und geniale, laut verkündete und leise umgesetzte. Ich schweife ab. Wer sich dafür interessiert, dem empfehle ich wärmstens „Über Klima sprechen – das Handbuch“. Das gibt es zum kostenlosen Download auf klimafakten.de.
Die Politik muss ran
Doch ob all diese Lösungen den Klimawandel wirklich noch aufhalten können? Ob all unsere Bemühungen im Großen wie im Kleinen, zuhause und im Job überhaupt etwas nützen? Oft fürchte ich, nein. Daher das mit der Krisenstimmung in meiner Einleitung. Gerade habe ich Earth for all gelesen, den neuen Bericht an den Club of Rome, 50 Jahre nach Die Grenzen des Wachstums – so der Untertitel. Darin werden fünf außerordentliche Kehrtwenden beschrieben, um uns und den Planeten zu retten. Nr. 4 ist der „Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems“. Dazu braucht es nicht weniger als eine
- Revolutionierung der Landwirtschaft,
- Umstellung der Ernährung und
- Verhinderung von Nahrungsmittelverlusten und -verschwendung.
Puh. Um solch einen „Giant Leap“ (= Riesensprung) zu schaffen, sind rigorose und mutige Maßnahmen der Regierungen nötig. Und zwar auf der ganzen Welt. Das wissen natürlich auch die Autorinnen und Autoren von Earth for all. Und das ist doch völlig utopisch – oder etwa nicht? Vielleicht nicht. Sie könnten sich zum Beispiel ein internationales Gremium der G20-Staaten vorstellen, das sich gemeinsam um die weltweite Nahrungsmittelsicherheit, nachhaltige Strategien, politische Maßnahmen und Regulierungen kümmert.
Bis es soweit ist, geben sie sich nicht der Krisenstimmung hin, sondern richten den Blick auf die Mut machenden Zeichen. Die sehen sie überall. Zeichen dafür, dass eine Transformation unseres Ernährungssystems bereits begonnen hat. Nun gut, solche Zeichen sehe ich grundsätzlich auch. Ganz offensichtlich gemeinsam mit den vielen anderen, die für den Trendreport Ernährung 2023 befragt wurden. Daher wünsche ich mir, dass sich das Rad in Richtung einer klimafreundlichen und nachhaltigen Ernährung immer schneller dreht und nicht mehr aufhalten lässt.
„Pflanzenbetonte Ernährung“
Dazu gehört die pflanzenbetonte Ernährung. Auch mein persönliches Top-Thema sozusagen, das Platz 2 der Trends im Trendreport belegt. Pflanzen in Form von Brot, Gemüse, Salat und Hülsenfrüchten, Obst und Nüssen spielen bei uns schon lange die Hauptrolle auf dem Teller. Vielleicht bin ich sogar ein wenig gemüsesüchtig, denn ohne Grünzeug fehlt mir was. Für eine leckere Gemüseküche werbe ich daher auch auf meinem Blog oder mit Instagram-Beiträgen. Für selbstgemachte Grünkernbratlinge, Hülsenfrüchte oder #kohlistcool.
Doch ich bin keine 100prozentige Vegetarieren. Dieses Etikett brauche ich für mich auch gar nicht. Daher schrieb ich weiter oben, dass wir gar kein bzw. nur noch hin und wieder Fleisch essen. Dieses „hin und wieder“ ist mir wichtig. Es gibt mir Flexibilität. Wenn ich einfach mal Lust auf eine Scheibe Wurst, eine Rinderroulade mit Soße oder ein kleines Steak vom Grill habe. Mit dieser Einstellung kommen offensichtlich viele Menschen deutlich besser klar als mit der Forderung, vegetarisch oder gar vegan leben zu müssen.
So nehmen es die für den Trendreport befragten Fachleute wahr. Sie beobachten, dass dieser „Flexitarismus“ zum Mainstream geworden ist: Die Nachfrage nach entsprechenden Rezepten in Kochbüchern, Internetforen oder über die sozialen Medien steigt. In den Läden und Online-Shops wächst die Auswahl an pflanzlichen Ersatzprodukten für Fleisch, Fisch, Käse, Eier oder Milchprodukte. Die braucht es natürlich nicht unbedingt, aber sie machen den Menschen die Umstellung leichter. Das finde ich völlig okay.
Pflanzenbetont – pflanzenbasiert – plantbased 🙁
Allein die Begrifflichkeiten bereiten mir als Kommunikationsfachfrau Bauchschmerzen. Und dabei geht es mir nicht um fehlende Definitionen. Das Englische plantbased finde ich ja noch recht geschmeidig. Aber die deutschen Übersetzungen gefallen mir so gar nicht. Taugen die wirklich dazu, noch mehr Menschen für Getreide und Gemüse zu begeistern? Das gilt übrigens genauso für die Planetary Health Diet. Denn das ist keine Diät, ein Begriff, der doch vor allem für Verzicht steht. Das ist eine Strategie inklusive Speiseplan, die den Spagat zwischen „ideal für den Planeten“ und „ideal für unsere Gesundheit“ geschafft hat. Und es ist die wissenschaftliche Basis für den Aufruf zu einer mehr pflanzlichen Ernährung – noch so ein hilfloser Formulierungsversuch. Vielleicht fallen der großartigen Ernährungs-Community bessere Formulierungen ein?! Ich bin gespannt. Oder kommt es darauf letztendlich gar nicht an?
Worauf es jetzt ankommt
Für mich kommt es jetzt darauf an, dass die Politik endlich große Taten vollbringt. Tatsächlich arbeitet die Regierung aktuell an der Ernährungsstrategie, hat Cem Özdemir zumindest das Eckpunktepapier Weg zur Ernährungsstrategie der Bundesregierung vorgelegt. Das sieht nach einem guten Anfang, aber leider noch nicht nach einem Riesensprung aus.
Daher kommt es für mich auch darauf an, dass wir Ernährungsfachleute immer und überall unseren Mund aufmachen, unsere Expertise zeigen, uns mit konstruktiven Ideen und Lösungen einbringen und uns vernetzen. Hierbei leisten das Team von NUTRITION HUB, das BZfE und so viele Menschen der „Ernährungs-Bubble“ großartige Arbeit. Ich wünsche mir, dass sie mehr Gehör finden. Dazu möchte ich mit diesem Blogpost einen kleinen Beitrag leisten.
Den Trendreport Ernährung 2023 in der Kurzfassung und in der Langfassung zum Download gibt es auf der Plattform von NUTRITION HUB. Dort könnt ihr alle zehn Trends nachlesen, findet ein Extra-Kapitel zum Krieg in der Ukraine und eine Auflistung aller befragten Fachleute. Seid ihr bei Twitter, LinkedIn oder Instagram aktiv? Dann schaut nach den Hashtags #trendreport2023, #ernährungstrends23 und #soessenwir2023. Liked und teilt die Beiträge, schreibt eure Meinungen in die Kommentare und verschafft uns allen so mehr Sichtbarkeit und Einfluss.