Der Streit ums Fleisch

Kommentare 2
Rinder auf einer grünen Wiese in der Eifel

Wir streiten ums Fleisch, auch bei uns zu Hause: Ich esse meist vegetarisch und oft vegan. Mein Mann möchte hin und wieder Fleisch und Wurst essen. Die neuen DGE-Empfehlungen geben ihm recht. Manchen gehen sie zu weit, anderen nicht weit genug. Auch über Qualität und Herkunft streiten wir. So reicht mir selbst das Biofleisch aus dem Discounter nicht. Bei Wild aus der Region oder Hähnchen vom Bio-Metzger gehe ich eher mit. Dahinter steckt ein lange Geschichte und am Kompromiss ohne Streit arbeiten wir noch 😉

Kaninchen als Sonntagsbraten und Anatomie vom Suppenhuhn

Meine Einstellungen zum Fleischessen hat sich im Laufe meines Lebens mehrfach geändert. Als Kind waren eine Frikadelle oder ein Würstchen auf dem Teller für mich mehr als okay. Mein Lieblingsessen war „Nudeln mit Gehacktem“. Nein, nicht Spaghetti Bolognese, sondern Nudeln, die mit herzhaft angebratenem Hackfleisch gemischt wurden. War Gemüse dabei? Ich fürchte, nein. Außerdem gab es den klassischen Sonntagsbraten, zu Weihnachten Rinderrouladen und im Winter regelmäßig ein Kaninchen, das ich im Frühling als Baby-Kaninchen gestreichelt hatte.

Wie grausam? Das fand ich damals nicht. Denn bis zu meinem elften Lebensjahr lebten wir sehr ländlich mit einem großen Selbstversorgergarten. Dazu gehörten ein paar Kaninchen und ein Hühnerstall. Ich habe meiner Mutter auch fasziniert beim Rupfen und Ausnehmen eines Huhns zugeschaut und dabei Details über dessen Anatomie gelernt. Wenn wir Kinder die Kaninchen im Sommer nicht zum Spielen auf die Wiese setzten, lebten sie nicht sehr artgerecht in einem kleinen Stall. Die Hühner durften dagegen nach Hühnerart tagsüber frei draußen herumlaufen, scharren, picken und im Sand baden. Die hatten bis zu ihrem Ende als Suppenhuhn ein gutes Leben.

Was ich damit sagen will: Tiere essen in Maßen und mit Genuss gehörte damals zu unserem Ess-Alltag und wurde nicht hinterfragt. Ich bin quasi mit leckerer Leberwurst und herzhafter Bratensoße sozialisiert. Aber ich wusste auch, dass Fleisch nicht in der Kühltheke vom Supermarkt wächst, sondern von lebenden Tieren stammt. Ob die vorher artgerecht gehalten wurden? Auch das war kein Thema.

Seelenfutter mit Fleisch bei Mama

An meinen Fleischkonsum als Studentin kann ich mich kaum erinnern. Ich habe vermutlich Fleisch in der Mensa gegessen. Mir selber habe ich keines zubereitet, mich aber umso mehr auf die Rinderrouladen bei Mama gefreut, wenn ich alle paar Wochen nach Hause gefahren bin. Und auf den Grünkohl mit Kohlwurst, die Schupfnudeln mit Sauerkraut und Schinkenspeck. Anfang der 90er probierte meine Mutter aber bereits sehr gerne vegetarische Rezepte aus der „Tina“ aus. Zum Beispiel die Urform der Sellerie-Reis-Frikadellen, die es heute noch regelmäßig bei mir gibt. Aber eine Erbsen- oder Linsensuppe ohne Mettwürstchen? Undenkbar! Ein veganes Weihnachtsmenu? Was soll das denn sein?

Gemüse-Kartoffel-Fleischbrei ab dem 6. Monat

Als mein eigener Nachwuchs ins Brei-Alter kam, gab es zum Start pürierte Karotten und bald den klassischen Gemüse-Kartoffel-Fleischbrei. Dazu kaufte ich erstmals konsequent Hähnchen oder Kalbfleisch beim Bio-Metzger. Das habe ich gedünstet, püriert und portionsweise eingefroren. Und ja, dort bekamen unsere Kinder später die obligatorische Scheibe Fleischwurst auf die Hand. Ob das die Vorliebe von Kind 1 für Wurst und seine Abneigung gegen Käse geprägt hat? Ich weiß es nicht.

Ich weiß aber, dass ich als Mutter und Dipl. oec. troph. nie auf die Idee gekommen wäre, meine Kinder vegetarisch oder gar vegan zu ernähren. Ich war überzeugt und bin es immer noch, dass es mit Fleisch, Fisch, Eiern und Milchprodukten am einfachsten ist, alle Nährstoffe zu erhalten. Wer seine Kinder vegetarisch aufziehen möchte, muss sich auskennen. Das klappt nicht nebenbei, ist aber natürlich möglich. Was eine vegane Ernährung angeht, sehe ich das anders. Hier schließe ich mich den Handlungsempfehlungen von Gesund ins Leben an.

Gemüseliebe musste wachsen

Als meine Kinder größer wurden, waren Kartoffeln oder Nudeln mit Fleisch und Soße einfacher als Gemüsegerichte. Denn sie mochten vieles nicht: Keine Zwiebeln, Porree oder Kohl. Der große Bruder keine Pilze, die kleine Schwester keine Tomaten. Beide Spinat nur mit Blubb aus der Tiefkühltruhe. Vom Brokkoli bitte nicht „die Stämme“ und Rohkost zum Knabbern außer Karotten auch nicht. Puh …

Ich habe also Gemüse in pürierten Suppen versteckt oder in der Fleisch-Bolognese untergejubelt. Den Brokkoli nicht al dente sondern zerkocht mit Vollkornreis gemischt. Oben drauf kamen zwecks Überzeugung ein paar Streifen knusprig gebratene Hähnchenbrust. Phasenweise habe ich tatsächlich in zwei Töpfen gekocht: Für meinen Mann und mich die gebratenen Nudeln à la Chinarestaurant mit viel Sojasprossen und Gemüse und für die Kinder ohne. Nach Jahren voller Geduld vermischten sich die beiden Varianten auf wunderbare Weise. Irgendwann wurde die Gemüsemenge darin immer größer und die Fleischmenge kleiner.

Auch in anderen Gerichten eroberten sich Gemüse und Hülsenfrüchte nach und nach mehr Raum. Und als immer öfter vegetarisches und veganes Essen gewünscht wurde, war klar: Mit Gemüse aussortieren wird das nichts. Plötzlich schmeckte das geliebte Nudelgericht aus dem Wok sogar mit fein geschnittenem Weißkohl.

Vegetarisch und vegan: Die Kinder machten Druck

Heute geht ohne Zwiebeln nichts mehr. Denn unsere erwachsenen Kinder essen vegetarisch bzw. so vegan wie möglich und Zwiebeln sorgen für Geschmack. Sie mögen Haferdrink im Kaffee und vermissen weder Fleisch noch Fisch oder Käse. Besuchen sie uns, koche ich also vegetarisch oder vegan. Weil ich mich selber über die Jahre zum Gemüse-Junkie entwickelt habe, vermisse ich selten etwas. Dabei hilft mir, dass ich mich auch im Job quasi täglich mit diesen Themen beschäftige, über Social Media und Kochbücher inspirieren lasse und viel ausprobiere. Man könnte also sagen: Ich habe wirklich über die Jahre eine 180-Grad-Wende vom Essen meiner Kindheit bis heute vollzogen. Genauso übrigens wie Moritz Bor, dessen Geschichte Vom Veganer zum Vermarkter von Bio-Rind ich für das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) aufbereiten durfte.

Aber auch meine Geschichte geht noch weiter. Circa zwei Jahre lang habe ich also fast gar kein Fleisch und keine Scheibe Wurst gegessen. So richtig Vegetarierin nennen wollte ich mich trotzdem nie. Weil ich überzeugt bin, dass es eben egal ist, ob ich Einzelperson mal einen „Cheat Day“ beim Grillen einlege. Viel wichtiger ist es doch, dass alle Menschen weniger Fleisch und mehr Gemüse grillen. Aber selbst diese Formulierung darf ich in den Texten, die ich schreibe, nur sehr sparsam oder besser gar nicht verwenden. Das ist mir in Mehr Lust auf Pflanze – jedes Blatt zählt! gut gelungen, denke ich. Denn Druck machen und mit Verzicht drohen geht gar nicht – besonders beim Thema Fleisch.

Schwiegermutters Rindfleischsuppe mit viel Gemüse

Das merke ich gerade ganz deutlich zuhause. Denn mein Mann hat sich in den letzten Jahre zwar der Familienküche angeschlossen, aber nie gesagt: „cool, ich werde jetzt auch Vegetarier“. Stattdessen kauft er, seit die Kinder aus dem Haus sind, hin und wieder mal für sich ein Steak, Salami oder Schinken im Supermarkt. Das ist zwar immer Bio, aber genügt eben nicht zu 100 Prozent meinen hohen Ansprüchen an beste artgerechte Tierhaltung. Besser erfüllen die der Bio-Metzger in meinem Bioladen oder die Marktschwärmerei. Über die bekomme ich zum Beispiel Wild aus dem Westerwald oder Bio-Rind aus Weidetierhaltung. Von ersterem reichen mir schon 250 Gramm für ein großartiges Rehgulasch für uns zwei. Und von einer Rinderbeinscheibe plus sehr viel Gemüse koche ich einen großen Topf Rindfleischsuppe à la Schwiegermutter für drei Tage (energiesparend im Kochsack). Damit ist mein Mann glücklich und bin auch ich zufrieden.

Mein Ziel: Pflanzenbetont ohne Dogmatismus

Trotzdem haben wir heute gestritten. Das zeigt mir, wie sehr ich auch zuhause noch an meiner Ernährungskommunikation arbeiten muss; und dass Kompromisse den Weg zu Veränderungen pflastern. Fragen wie Discounter, Bio-Metzgerei oder Direktvermarktung, gutes oder allerbestes Bio-Fleisch sind mit Blick auf unser aller Ernährung dann vielleicht gar nicht so entscheidend. Solange der Weg grundsätzlich konsequent und schnell in Richtung mehr Pflanzen und weniger Tiere auf dem Teller geht.

Einen solchen Kompromiss ist auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung mit ihren neuen Empfehlungen gegangen. Darüber mag man streiten (besser diskutieren), aber für mich sind sie ein guter erster Schritt. Noch besser gefällt mir die Planetary Health Diet, die bei Fleisch und Milchprodukten ähnliche Orientierungsmengen nennt, aber sich traut, mehr Hülsenfrüchte zu empfehlen. Und als letzten Tipp zum Weiterlesen und Infografiken-Anschauen verlinke ich gerne noch die 11 Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung des Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu). Die nennen weitere Aspekte wie die Vermeidung von Flugware, eine energieeffiziente Küche und umweltfreundliches Einkaufen mit dem Fahrrad 😉

Ob DGE-Empfehlungen, Planetary Health Diet oder ifeu-Leitlinien: Wirklich schwierig wird es für mich nur beim Käse. Denn frei nach Loriot ist ein Leben ohne Käse für mich möglich aber sinnlos. Wie ich damit umgehe, beschreibe ich vielleicht mal in einem anderen Beitrag.

2 Kommentare

  1. Marion Eckert-Krause sagt:

    Toll geschrieben und spricht mir aus dem Herzen. Die vegane plant based Phase ist bei uns wieder durch flexitarisch abgelöst worden. Ein gutes Stück Fleisch darfs bei allen sein, womöglich und sinnvoll kommt Gemüse in allen Varianten auf den Tisch, aber keine plantbased industriell durch den Extruder gewürgtes Gemüse, das den Herstellern eine dicke Marge generiert. Gelbe Erbsensuppe schmeckt auch ohne Fleischeinlage – man kann sich gut dran gewöhnen und mit Gewürzen aufpeppen. Kreativität in der Küche… und ein Stück Käse was gibt’s schöneres. Und der Ehemann… dem schmeckts auch. Nicht immer, aber immer öfter

    1. Gabriela Freitag-Ziegler sagt:

      Liebe Marion,

      herzlichen Dank, auch für deine Erfahrungen und Meinung. Wir probieren tatsächlich hin und wieder Alternativprodukte zu Fleisch oder Wurst aus. Ich persönlich brauche die nicht, mache selber Burger-Buletten aus schwarzen Bohnen, Aufstrich aus Linsen, Zwiebeln und Pilzen und liebe meine Grünkernfrikadellen. Aber mittlerweile werden die Produkte immer besser, beobachte ich. Mit einer überschaubaren Menge an guten Zutaten und wenigen Zusatzstoffen. Vielen Menschen fällt damit der Übergang zu mehr Pflanze auf dem Teller leichter, denke ich.

      Dir weiterhin guten Appetit und liebe Grüße von Gabi

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Die Zeit ist abgelaufen. Bitte geben Sie die Zeichen erneut ein.

Ich stimme der Datenschutzerklärung zu